Trip down Memory Lane -Teil 2- Göttingen

Wie bereits angekündigt ging unsere Reise am Donnerstag weiter nach Göttingen. Diese Station des Roundtrips war mir persönlich mit am wichtigsten. Ich brauchte den Besuch dieser Stadt um das nun endlich abgeschlossene Examen auch innerlich abzuschließen. In Göttingen habe ich studiert, gewohnt habe ich dort etwas mehr als siebeneinhalb Jahre. Diese Stadt weckt so viele Erinnerungen und Emotionen, daß ich ihr einen eigenen Eintrag widme.

Angefangen hat alles mit dem bestehen der Gesellenprüfung, das war die elterliche Voraussetzung. „Du machst erst was anständiges, bevor Du studieren gehst“. Gut machte ich das halt und bestand nach zwei harten Jahren die Prüfung als Tischlerin. Nächste Hürde war die Zulassung an der Uni meiner Wahl. Zu dem Semester zu dem ich beginnen wollte wurde der NC für Rechtswissenschaften eingeführt. Göttingen hatte ich gewählt weil es nicht zu weit von der Heimat entfernt liegt und weil mein damaliger Freund dort wohnte und ich durch ihn schon einen Eindruck der Stadt und Uni bekommen hatte, der mir sehr zusagte. Einige Wochen nach dem Bestehen kam der Brief mit der Zusage und ich konnte mein Glück kaum fassen.

So suchte ich mir eine Wohnung. Monate zuvor war ich so schlau gewesen mich auf die Warteliste der Wohnheime setzen zu lassen, doch bevorzugte ich es erstmal nach einer Wohnung zu suchen. Die Suche war nicht sehr erfolgreich und an dem Tag an dem ich die Zusage für eine muffige Souterraine Wohnung bekam, kam auch der Brief des Studentenwerks in dem man mir ein Zimmer in einem der alten Wohnheime anbot. Aus Kostengründen und Vernunft nahm ich das Wohnheimzimmer. Ich war mir sicher von dort weiter zu suchen und absehbar meine eigene Wohnung zu beziehen.

So kam der Tag an dem ich meinen kleine Mirabelle bis unter das Dach mit dem Notwendigen vollpackte und ungelogen die ganze Strecke heulend nach Göttingen fuhr. Zwei Tage später folgte mein Vater und brachte mir den Rest inklusive meines Fahrrades. Das Zimmer war 11,43 qm groß, Duschen, Toilette und Küche in Gemeinschaftsbenutzung. Telefon auf dem Flur, Flurbewohner vierzehn, Tagesraum für vier dieser Flure gemeinsam.

Wann ich den Plan mit einer eigenen Wohnung verwarf weiß ich nicht genau, vielleicht an dem Abend als ich heulend von meinem nun Ex-Freund kommend im Flur stand und sofort wieder hinfahren wollte um ihn zu überzeugen, daß er einen Fehler gemacht hat und ein mir nicht so nah stehender Mitbewohner mich schnappte und die halbe Nacht mir zuhörte und mich tröstete. Vielleicht auch als ich mich anfing mit M. anzufreunden die zwei Zimmer weiter wohnte und heute noch meine Freundin ist. Vielleicht auch während der donnerstäglichen gemeinsamen Runde in der das „Zeit-Rätsel“ gelöst wurde. Ich kann es nicht sagen wann mein Wohnheim mein Nest, mein zu Hause, mein Anker wurde. Im gleichen Jahr wie ich zog auch H. ein, mein Herzensfreund, der mir seit all den Jahren sehr nahe steht und erst nach mir das Wohnheim verließ.

Mitbewohner kamen und gingen, man schloß Freundschaften die wieder zerflossen, man feierte Parties im miefigen Fetenraum. Man nahm die studentische Selbstverwaltung des Wohnheimes sehr ernst, auch ich bekleidete diverse Ämter. Man stritt sich ewig um die hygienischen Zustände der Küche, um zu laute Mitbewohner und trotzdem war es lange Jahre eine ziemlich gut funktionierende Gemeinschaft. Erst in der letzten Zeit meines Aufenthaltes verkam es mehr und mehr zu einem Durchgangswohnheim. Der Student an sich war nicht mehr gewillt sich mit den eher spartanischen Zuständen abzufinden und wo keine soziale Gemeinschaft ist, geht man schnell weiter.

wohnheimMeine Heimat für sechs Jahre und acht Monate. Den Rest meines Gastspiels in Gö verbrachte ich im Wohnheim des Gatten.

Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen aus dem wohnlichen Umfeld, aber ich war ja nicht zum Wohnen, sondern zum Studieren nach Göttingen gekommen. Ich machte die obligatorische O-phase, die sehr nett verlief und die dazu führte, daß ich für das Zeit-Magazin ein Interview gab über die Ziele als Studentin und so. Das Semester begann dann mit einer unsäglichen dreistündigen Vorlesung, montags, acht Uhr.  Das Studieren verlief wie alle durchschnittlichen Studien verlaufen, mit auf und abs, mit guten und nicht so guten Noten. Vorlesungen die man besuchte oder auch nicht. Lernen was man mal mehr mal weniger ernst nahm. Versagenden Druckern (JEDESMAL) vor einer wichtigen Abgabe. Mit den Jobs in den Ferien um den Unterhalt bestreiten zu können, mit BaFöG – Anträgen und Sommern gefüllt mit Hausarbeiten die man tagsüber schrieb um nachts zu feiern und mittags weiterzumachen.

juridicum

Was aber Göttingen für mich neben all dem ausmacht war das Leben um all das drum rum. ich weiß nicht wieviele Menschen ich in meinem Leben hatte und wieder verlor, wieviele Partys wir gefeiert haben. Ich weiß ich war des öfteren ziemlich verliebt. Einmal habe ich nach dem Verlassen des Irish-Pubs und vor dem Einsteigen ins Taxi mächtig gekotzt und noch mitbekommen wie ein Begleiter den Taxifahrer bat mich zur Tür zu bringen. Wie ich in mein Zimmer im vierten Stock gekommen bin ist mir heute noch unklar. Ein anderes mal habe ich mit einem Bekannten einen unglaublich aufreizenden Tanz auf ner Party hingelegt. (Es gibt ja so ein Alter da ist einem fast nix peinlich) Dann der Abend als ich meine Freundin fahren mußte, mir ihrem Auto, weil sie zu betrunken war und ich das Auto mit zu mir nahm. Dabei fuhr ich wohl etwas unsicher und wurde von der Polizei verfolgt. Dies fiel mir aber erst auf, als ich ausstieg und in Scheinwerfer schaute. Ich war nüchtern. Die vielen Menschen aus allen möglichen Ländern mit denen ich zusammen gewohnt habe und die mir von ihrer Heimat erzählten. Nie vergesse ich wie einer meiner schwarzen Mitbewohner seine Nationalhymne im Tagesraum vorsang, welch Würde, welch Stolz. Der Jurist in den ich während einer zu schreibenden Hausarbeit verliebt war, der mich einmal küßte wie kein anderer um dann langsam aus meinem Dunstkreis zu verschwinden. Die Sonntage bei Cron und Lantz. Die vielen Essen in der Mensa. Das Lachen, das so unbeschwerte Lachen mit den drei Grazien wenn wir Schlager sangen (zu teilweise fünf und mehr Personen im kleinen Zimmer) und das dabei erfolgte Anrufen der Erotiknummern. Meine eigenen Niederlagen, meine Dramen, mein Unglück, meine Verfehlungen, mein Sturz, mein vorsichtiges wieder Aufstehen, das Glück, die Leidenschaft oh diese Leidenschaft voller Leichtigkeit, die Liebe und ach diese Freiheit. All the Drama all that Jazz.

Im Laufe der Jahre wurden die alle zwei wöchenendlichen Heimatbesuche weniger, die Aufenthalte in den Semesterferien kürzer oder eingestellt, ich hatte mein erstes Nest verlassen und ein neues gefunden.

Letztendlich lernte ich auch den Mann in Göttingen kennen, machte mein Examen, verbrachte dort die Wartezeit auf den Referendariatsplatz.

Ich weiß in Göttingen bin ich ein ganze Stück erwachsener geworden, habe ich mich etwas gefunden, hab ich die Grundsteine für meine weitere Zukunft gelegt und einen Teil meiner Unschuld verloren. Es ist meine Herzensstadt die zu klein geworden war um weiter dort zu bleiben. Es ist der Ort der Erinnerungen an eine großartige Zeit ohne Verpflichtungen, selbstbestimmt, dramatisch immer im Gefühl des Moments und des Lernens auf allen Ebenen.

So mußte ich auch jetzt dahin, einmal durchs Wohnheim laufen, einmal zu dem des Mannes fahren, in der Mensa essen, im Juridicum eine Runde drehen auf dem Campus ein paar Tränen vergiessen,  die Stadt rauflaufen um dann Abschied zu nehmen. Von der Stadt, dem Studium, meinem Studenten-Ich von all dem Drama, all dem Jazz …

me_plesse

1995 oder 1996

12 Antworten zu “Trip down Memory Lane -Teil 2- Göttingen

  1. Wow. Was für ein schöner, ehrlicher, wundervoll zu lesender Text!

  2. Sehr schön geschrieben 🙂

  3. Meine Städte waren andere, aber mein Erwachsenwerden war ähnlich 🙂

  4. Das Bild ist wirklich wahnsinnig toll! Und eine schöne Geschichte, wirklich.

  5. Achja… Göttingen… und die alte „Bunkeranlage“ 🙂

  6. Und heute weigerst Du Dich mit mir Schlager zu singen, pah 😉

  7. hach, sehr emotional, sehr direkt, weine ein traenlein mit…

  8. Ich freu mich immer wieder über deine authentische erfrischende herzliche ehrliche Art. Ein bisschen „Reise in die Vergangenheit“ habe ich am Donnerstag vor zwei Wochen gemacht, da war ich in Goldenstedt… War eine schöne wilde Zeit damals. Hast das beste Foto rausgesucht, find‘ ich.

  9. Danke euch allen für die wirklich netten Kommentare hier!

  10. Ich war von 1984-1999 in Göttingen und kann fast alles genau so unterschreiben. Nord-Uni, Albrecht-Thaer-Wohnheim, nachts Tangente und Sonderbar, zum Geld verdienen Minicar fahren. Auch wenn ich seit zehn Jahren „draußen“ bin: In der Adventszeit geht’s einmal nach Gö zum Weihnachtsmarkt – Ecke Deutsche Bank.

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