Ach Oma …

Mitte November erfuhr ich, daß meine Oma ins Krankenhaus gekommen war. Mit fast 94 Jahren ist das immer ein Anlaß sich Sorgen zu machen. Mein Vater und mein Bruder hielten als Informanten zunächst den Ball flach, wobei mein Bruder sogar noch recht optimistisch war. Nach zwei Wochen gab es immer noch keine gefestigte Diagnose, aber ich hatte ein ungutes Gefühl. Das war so arg, daß ich meinen (kleinen)Bruder weinend anrief und meine Ängste ausdrückte, er der bisher sehr besonnen geblieben war, beruhigte mich weiterhin, teilte mir dann aber doch eine Stunde später mit, daß er am nächsten Tag hinfahren und nach dem Rechten sehen werde.

Am nächsten Tag bestätigten sich meine schlimmsten Befürchtungen, Oma war so krank, daß es bis zum endgültigen Abschied nur eine Frage der Zeit sein würde. Man sprach von Wochen, vielleicht noch Monaten. Ich war wie betäubt und der Mann beschloß sofort, daß wir zwei Tage später ins Krankenhaus fahren würden. Wir gingen zwar davon aus, daß sie uns noch ein wenig bleibt, aber in solcher Situation fährt man besser eher als später. So sicher ich war, daß ich baldmöglichst zu meiner Oma wollte, so sehr zögerte ich gleichzeitig. Sie zu sehen, die Krankheit ihr anzusehen, das würde bedeuten ihren Abschied zu sehen, Abschied nehmen zu müssen, der Vergänglichkeit ins Auge blicken zu müssen. Damit kann ich verdammt schwer umgehen, aber es ging vorrangig nicht um mich und meinen Abschied, es ging um Oma.

Da wir nicht wußten was uns erwartet und weil die Kinder Schule hatten beschlossen wir nur die Babytochter mitzunehmen. Wie in Trance zogen die nächsten Tage bis zur Abfahrt an mir vorbei. Bis wir an dem Morgen in Auto saßen. Da wurde ich plötzlich ruhig, gespenstisch ruhig, trotz aller Nervosität. Vor der Zimmertür ein kurzes Zögern, dann rein. Da saß sie, etwas dünner, ziemlich gelb, aber aufrecht. Es gab grad Mittagessen. So wie sie mir als Kind das Essen schnitt, half ich ihr diesmal mit dem Nachtisch, den ihre von Gicht und Rheuma angegriffenen Finger nicht mehr schneiden konnten. Sie war überrascht ob unseres Anblick, freute sich aber, wollte uns ständig was anbieten, entschuldigte sich, daß sie uns kein Scheinchen geben konnte, da sie vergessen hatte meinen Papa zu bitten ihr Geld mitzubringen. Alles so unwichtig.

Wir plauderten, erzählten von den Kindern, Alltagskram, völlig belanglos. Nach einer Stunde merkten wir, wie sie uns immer weniger folgen konnte, müde war und kaum noch antwortete. Wir beschlossen zu gehen, ich drückte und küßte sie, die Babytochter mochte ihr auch einen Kuß aufdrücken und dann verließen wir das Zimmer. In der Tür schossen mir die Tränen in die Augen, meine Knie wurden weich und ich wäre am Liebsten zurückgegangen, in ihren Arm. Ich schluckte, ich riß mich zusammen, schloß die Tür und atmete vor der geschlossenen Tür tief durch. Die Babytochter fest im Arm, sie die mir die ganze Zeit durch ihre Lebendigkeit so ein Anker gewesen war.

Wir verließen das Krankenhaus, beschlossen wenn Oma ins Hospiz, wo sie hinsollte, angekommen war, mit allen Kindern wieder zu kommen.

Am nächsten Tag redete Oma kaum noch, am übernächsten schlief sie nur. Am Tag drauf wachte sie nicht mehr auf. Sie hatte beschlossen, daß es Zeit war zu gehen.

Meine Oma, steter Begleiter meiner Kindheit und Jugend, eine feste Größe in meinem Leben. Ich habe immer wieder Bilder vor Augen, hab oft ihr spezielles „Ach Kind“ im Ohr. Sehe, wie sie uns verwöhnte, wie sie sich kümmerte, wie sie auch ihre Grenzen hatte, unsere Differenzen. Unsere Gemeinsamkeiten, wie ich sie im Grundschulalter bat, mir am Telefon zu erklären wie man linke Maschen strickt. Wie sie mir zeigte, wie man eine Mehlschwitze macht, wie man Marmelade rührt. Die unzähligen Socken, die sie mir strickte. Die Ausflüge, die ich mit ihr und Opa machte, immer hinten auf der Rückbank im Auto. Die Tage, die ich krank bei ihr verbrachte, weil meine Eltern arbeiteten bzw. nach der Trennung. Die Feiern, die bei ihr daheim und auswärts ausgerichtet worden. Sie hatte einen großen Bekannten- und Freundeskreis. Die Schnittchenteller, die daheim gerichtet wurden, wenn sie oder Opa Geburtstag hatten, denn auch ohne Einladung klingelte irgendwer immer an der Tür. Wie ich später die Rolle übernahm, mich zu kümmern, erst als Opa krank wurde, dann als sie nicht mehr so mobil war. Ich bekam den letzten Wagen den Opa angeschafft hatte, als dieser nicht mehr fahren konnte und dafür war ich ihr Fahrdienst, wenn ich in den Semesterferien nach Hause kam. Sie gab mir immer Essen mit, wenn ich ihr Haus verließ. Sie hatte immer zu viel Essen/Kuchen da, wenn man sie besuchte. Wie ich ihr später meine Kinder in den Arm legte, erst eins, dann zwei. dann das dritte. Wie sie sich an jedem neuen Urenkel erfreute. Franzbranntwein, Kölnisch Wasser, After Eight, Obstessig, Erfrischungstücher, Erfrischungsstäbchen, immer wieder Eis, Latschenkiefer, Süßstoff, Nescafe, Vanillesoße, Maserinen, Prilleken, Überraschungseier, Sauer Gurken aus dem Faß, Spargel, Woolworth, C&A, Ziebart, Falscher Hase, Scho-ka-kola …

Ach Oma.

Es sind so viele Geschichten, so viele Augenblicke, so viele Momente. Auch wenn ich nicht mehr in ihrer Nähe wohnte, wenn mir die Kontaktaufnahme die letzten Jahren schwerer fiel, da ich den „Zerfall“ nicht sehen wollte (Der Mann hat mich das ein oder andere Mal sanft überredet, einen Besuch zu planen), so war Oma trotz der Distanz immer irgendwie präsent. Auf Bildern, in Geschichten, in Gedanken, im Herzen. Jetzt gibt es keine Anrufe, keine Besuche, keine Karten mehr. Du fehlst mir.

OmaRudiElliOma, links, mit ihren großen Geschwistern als junges Mädchen.

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4 Antworten zu “Ach Oma …

  1. Wunderschön liebevoll geschrieben. Ich fühle mich gerade um einige Jahrzehnte zurückversetzt, als ich genauso empfand beim Abschied von meiner geliebten Oma. Und daher hole ich jetzt ihre Bilder aus dem Schrank und erfreue mich daran, dass es sie gab.

  2. Seufz. Ich kenne das…. meine Oma ♡

  3. I’m so sorry, Sibylle. You’re lucky to have such wonderful memories.

  4. Mein Beileid. Omas sind so etwas Tolles (wenn sie denn da sind und ein offenes Ohr haben) – wenn ich von verstorbenen Angehörigen träume, ist es auch meist meine Oma.

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