Der ein oder andere verbliebene Leser (und die Leserin) hier mag mitbekommen haben, dass ich nicht nur nähen, kochen, backen, basteln und Recht von Unrecht unterscheiden kann, sondern dazu vier wunderbare Kinder habe. Weiterhin habe ich wohl schonmal am Rande erwähnt, dass eins dieser Kinder, die große Tochter, eine Rolle in dem Musical „Das Wunder von Bern“ besetzt. Keine große, eher eine Nebenrolle, aber auch nicht so klein, sondern mit regelmäßiger Bühnenpräsenz bei der sie tanzt, singt und schauspielt. Und ganz unvoreingenommen muß ich sagen, daß sie das toll macht. Bei ihrer Premiere habe ich Rotz und Wasser geheult die ein oder andere Träne verdrückt, was nur peripher damit zusammen hing, dass ich da hochschwanger war.
Inzwischen habe ich sie mir dreimal auf der Bühne angeschaut. Es ist wirklich beeindruckend, was sie den Kindern für die Bühne beibringen. Die werden nicht nur auf die Rolle getrimmt, sondern bekommen eine grundlegende Ausbildung. Aber das nur am Rande.
Zurück zu dem was ich eigentlich schreiben wollte. Ich habe mir, wie gesagt dreimal die Show angeschaut und es war nicht einmal langweilig. Ich muß dazu sagen, dass ich schon die Vorlage, den gleichnamigen Film von Söhnke Wortmann schön fand. Ich war skeptisch wie man das für ein Musical umsetzen kann, ich war, wie auch schon beim Film skeptisch wie (mich) ein Thema wie Fußball als Träger einer Geschichte begeistern kann.
Man kann, sogar sehr. Und damit kommen wir zu dem Punkt, der mich verwundert bzw. stückweise traurig macht. Das (eigens neu gebaute Theater) ist nie voll. Bei allen meinen Besuchen oder wenn ich das Tochterkind nach absolvierter Show frage waren die Ränge gesperrt. Und auch im Parkett ist es meist nicht ausgebucht.
Wie kann das? Wieso begeistern sich nicht mehr Menschen für dieses Musical? Ist es der Aufhänger Fußball? Ist es die Tatsache, dass es sich nicht um einen Stoff von Disney oder dem Broadway handelt? Ist es der ernste Unterton den das Musical immer mal wieder hat?
Ich mag eigentlich keine Musicals. Ich war in den 90ern mal mit und habe Cats geschaut. Ich war nach der Vorstellung enttäuscht, bunte Glitzerwelt, wenig Anspruch und eine Story die mich nicht überzeugt mit Musik die mir eher fremd war. Ich sah keine Veranlassung nochmal in eine Musical zu gehen, bis, ja bis die Tochter ihre Premiere hatte.
Da dass ich dann und war von der Vorstellung mitgerissen. Es geht eben nicht nur um Fußball, Fußball ist das beständige Hintergrundrauschen, was zum Ende ohrenbetäubend die Hauptmelodie einnimmt. Das Thema was zwei Drittel der Show die Geschichte begleitet aber nicht die Geschichte an sich. Inhaltlich ist die späte Rückkehr des im Krieg gefangenen Vaters zu seiner Familie viel wichtiger. Das Heimkehren, das Ankommen, das sich wieder zurecht finden, das Kennenlernen seines im Krieg geborenen Sohnes. Die Neuorientierung, sowohl auf dem Arbeitsmarkt, als auch im Kreis der Familie, wo er nicht mehr das Oberhaupt ist und sich die Machtverhältnisse in Abwesenheit verändert haben. Zurück zu einer selbständigen Ehefrau und zwei weiteren, erwachsenen Kindern, die auf dem Weg ins eigene Leben sind.
Das alles ist nicht unbedingt einfache Kost, wie man sie von einem Musical erwartet. Aber selbst schwierige oder traurige Szenen werden durch nachfolgende leichte „aufgemuntert. Es gibt einige (sehr) witzige Szenen die dem Stück die Balance geben, trotz des anspruchsvolleren Themas den Unterhaltungsaspekt zu bewahren ohne zu seicht zu werden und den Inhalt zu verwässern.
Beeindruckend ist das Bühnenbild. Nicht nur die Kostüme, sondern alle Szenen sind aufwändig umgesetzt worden. Man ist mittendrin, kann sich das Nachkriegsdeutschland so gut vorstellen.Es gibt vielleicht nicht so viel Blink und Glitzer wie bei anderen Musicals, dafür technische Raffinesse die verzaubert.
Was wäre aber all die Optik, wenn das Stück nicht mit einer guten Besetzung aufwarten kann. Ich finde dass alle Rollen durchwegs super gespielt werden, der Gesang, das Schauspielerische alles tiptop. (Mein Lieblinge neben der Tochter und dem Mattis sind Frau Ackermann und die schweizer Putzfrau) Ich hatte nie den Eindruck dass da routiniert eine Show abgezogen wird, vielmehr kam immer Spielfreude und Engagement rüber. Und wenn auch der Saal nicht voll besetzt war so schien das anwesende Publikum immer glücklich die Show zu verlassen.
Und darum frage ich mich, wieder, wieso wird es nicht so angenommen wie der König der Löwen, wie Mama Mia? Wieso ist es nicht so ein stehender Begriff. Schreckt wirklich das Thema Fußball das übliche Zielpublikum ab? Sind es die Eintrittspreise (es gibt immer und immer wieder Sonderaktionen)? Ich verstehe es nicht und das macht mich traurig. So eine tolle Show, so eine tolle Leistung des Ensembles und so vergleichsweise geringe Begeisterung. Schade.
Dass das Theater nicht voll sind, hat wenig mit *diesem* Musical zu tun.
Das Musical allgemein ist nicht gut besucht, mit wenigen Ausnahmen wie dem König der Löwen und Tanz der Vampire.
Ränge sind in deutschen Musical-Theatern mangels Publikum fast immer gesperrt.
Chicago hat in Berlin fast durchgehend vor halbleerem Haus gespielt, Hinterm Horizont wird im August abgesetzt, und danach bleibt das Theater am Potsdamer Platz voraussichtlich leer stehen(!), offenbar weil kein Musical in Sicht ist, dass zuverlässig die Kosten wieder einspielen würde. Der Stage Entertainment geht es so schlecht, dass sie ihre Musical-Schule schliessen wird, und viele Schüler ihre Ausbildung nicht abschliessen können ( http://www.morgenpost.de/berlin/article206957087/Stage-Entertainment-schliesst-auch-Musical-Schule.html )
Ich glaube, der Markt ist übersättigt.
Wir sind nicht mehr in den 80ern, in denen es Cats und Starlight Express und sonst nix gab (überspitzt gesprochen). Heute wird gefühlt die Diskographie jeder Hinterhofband zu einer merkwürdigen Geschichte verwurstet und jeder halbwegs erfolgreiche Film vertont.
Dazu kommt, dass ein Musical-Besuch durchaus eine der teuereren Abendgestaltungsmöglichkeiten ist.
Ich fürchte, die Musical-Welt wird sich in den nächsten Jahren gesundschrumpfen…
Und das sage ich als ausgemachter Musical-Fan (yay, Phantom Forever!!!!)