Alleine sein – Berkeley Teil 6

Ich war seit bestimmt 18 Jahren nicht mehr so alleine. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen, seit achtzehn Jahren. Und auch vorher waren immer irgendwie Leute um mich rum, Kernfamilie, Wohnheimfamilie. Aber seit ich vor ziemlich genau 18 Jahren die Wohnung mit dem Mann, damals Freund, bezog war ich nicht mehr ohne Ansprechpartner, Freunde, Familie in der Nähe. Nichteinmal weil ich es nicht wollte, sondern weil es einfach so war. Und das ist eine Umstellung. Ich wohne hier nicht alleine, ich bin zur Untermiete. Ich studiere nicht als Einzelperson, ich habe Mitstudenten, die ich mal mehr mal weniger sehe. Und all dies findet weder auf einer einsamen Insel statt noch hat meine Familie oder mein Freundeskreis den Kontakt abgebrochen. Letzterer hat im Gegenteil ein Gesprür dafür entwickelt wenn ich anfange in Grübeleien zur verfallen, wundersamerweise ruft dann einer an oder schreibt was.

Aber es ist keine Vertrauensperson da, man kann nicht mal eben jemanden besuchen, man kann nicht mal einfach so anrufen, denn durch die extreme Zeitverschiebung ist es schwierig. Also bleibt man auf sich geworfen. Und das ist hart. Es gibt nämlich keine oder nur bedingt Ablenkung von den ganzen Gedanken die aus dem Inneren nach oben spülen. Man kann dann entweder darin versinken oder ein bischen versinken, man kann darin verharren oder aber man kann sich damit auseinandersetzen bis zu dem Punkt wo es unangenehm wird. Jedoch die einzige Person die in solchen Momenten einem den Kopf gerade rückt, rücken kann ist man selber. Leider fehlt da manchmal ein bischen die Objektivität von aussen, aber es ist auch ein guter Anspron über sich selber hinaus zu wachsen und die Verantwortung ganz alleine zu tragen, für das eigene Wohlbefinden. Ohne Ablenkung über neue Wege und Handlungsformen nachzudenken. Trotzdem ist es nicht immer angenehm und manchmal erschreckend. Aber wie ein lieber Mensch mir vor Abflug sagte, selbst wenn es Dich beruflich nicht weiterbringt, Du wirst wachsen. Ok, manchmal fühl ich mich hier noch recht klein, aber manche Dinge brauchen ihre Zeit.

Alleine sei, ohne dauernd auf eine andere Person zu reagieren, heißt aber auch, sich selber plötzlich wieder ganz anders wahrnehmen, als Mensch als Frau, als Lernende. Das hat durchaus interessante Aspekte.

Andererseits ist man sonst so von den Bedürfnissen anderer getrieben, dass man verlernt hat was einem selber in dem Moment gut tut, was man braucht, wofür man sorgen muss.

Ein wesentlich weniger emotionaler eher pragmatischer Aspekt ist, dass ich seit Teenagerjahren gewohnt bin mich mehr oder weniger alleine um meine Angelegenheiten zu kümmern, aber hier bekommt das nochmal ein ganz anderes Format. Auch wenn ich daheim oft für Einkaufen und Mahlzeiten (und Wäche und was weiss ich) zuständig, ich bin es halt nicht immer und das merke ich um so mehr jetzt. Es gibt keinen Grundstock an Nahrungsmitteln aus dem ich mal grad was bereite, wenn ich Essen will, muss ich mich darum kümmern und im Voraus mehr als sonst planen. Für die Familie kann ich das ganz gut, für mich alleine, eher noch nicht. Also esse ich eher unregelmäßig und ungesünder als zu Hause. Aber auch hier arbeite ich dran.

Letztendlich ist es seltsam nicht mehr für fünf weitere Nasen verantwortlich zu sein. Da reinzufinden fällt mir eher schwer. Das geht so weit, dass der Mann letzens sagte, nachdem ich auf dies und das hinwies, nachfragte etc., ich solle mal loslassen, sie hätten das alles schon im Griff. Aber ich hatte schon diverse Nachfragen wo denn dies oder das liegen würde bzw. was jetzt zu tun wäre. Aus gelebten Rollen auszubrechen geht nicht von heute auf morgen. Ich vermisse hingegen die Dauergeräuschkulisse und das dauernd in Beschlag genommen werden nicht.

Was mir fehlt ist der tatsächlich Kontakt zu meiner Familie, so oft sie auch anrufen, ich kann sie nicht anfassen. Ich kann sie nicht riechen, nicht umarmen, durch die Haare wuseln. Anfunkeln, anmotzen oder um Hilfe bitten. Küssen.

Dafür kann ich mit Kopfhörern durch mein Zimmer tanzen ohne, dass ein Teenagergör meint ich sehe komisch aus oder ein Kleinkind meint ich müsse sofort mit ihm oder mit ihm auf dem Arm tanzen. Ich kann mich mit Leuten treffen ohne Rechenschaft abzulegen wann und wie ich zurück komme. Wenn ich shoppen gehe will niemand plötzlich essen oder aufs Klo. Wenn ich Lernen will, stört keiner mit Alltagsfragen die Konzentration. Wenn ich beschliesse ich esse nur Junkfood habe ich kein schlechtes Gewissen wegen gesunder Kinderernährung, denn die essen ja nicht mit. (Wobei ich nicht weiss ob ihre Ernährung momentan gesünder ist ;))

Unter dem Strich, ich bin alleine, manchmal einsam, manchmal nicht und langsam lerne ich die temporäre Unabhängigkeit zu geniessen. Aber eins weiss ich und das ist nicht neu, ich bin auf Dauer kein Einsiedlerkrebs.

 

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