Man sollte meinen bei so einem Aufenthalt an einer der Top-Unis in den USA fällt einem jeden Tag etwas ein, über das man schreiben möchte. Und ja, es gibt vieles was einem tagtäglich so durch den Kopf geht, aber es sind mehr die kleinen Dinge. Das verwurstet man dann auf Instagram oder schreibt irgendwo in den anderen Sozialen Medien ein bis zwei Sätze. Es baut sich ein innerlicher Druck auf, dass man doch jetzt großartiges zu berichten hätte, denn hey, man ist in Berkeley, hey man ist in Kalifornien, hey alles toll. Nö. Alltag ist eigentlich relativ unspektakulär. Wobei unspekatakulär auch nicht so der richtige Ausdruck ist. Ich weiss nicht, ob ich schon einmal berichtet habe wie das hier aufgeteilt ist. Ich bin 13 Wochen vor Ort und diese 13 Wochen sind in vier Quarter unterteilt. In jedem Quarter belegt man Kurse. Jeder Kurs gibt bei bestehen ein bis drei credits. Das Ziel ist es in diesem Sommer 16 credits zu erlangen, maximal darf man 17 credits erlangen. Damit ist auch klar, dass der Spielraum einen Kurs nicht zu bestehen sehr sehr knapp ist. Es ist auch klar, dass es alle 2,5 Wochen ca. ein bis drei Prüfungen zu absolvieren gibt. Im Grunde findet hier eine Druckbetankung statt. Die drei credit Kurse laufen meist das komplette Quarter die anderen kürzer und manche finden in einer komprimierten Form am Wochenende statt. Jeder Lehrkörper möchte einem in der zur verfügung stehenden Zeit möglichst viel des Wissen vermitteln. Die Reduzierung des Stoffes der sonst in einem Semester gelehrt wird gelingt den meisten nicht unbedingt. Es ist im Gegensatz zur deutschen Uni hier üblich, dass man einen Großteil des Materials lesend eigenständig erlernt und in den Vorlesung anwendet oder wiederholt, gepaart mit Erklärungen des Dozenten. Das wiederum bedeutet, dass man zwischen zwei und vier Stunden Vorlesung hat und noch mal ein bis drei Stunden Lesezeit pro Tag hinzu rechnen kann. Hat man also zwei Vorlesungen am Tag, ist man mehr als gut ausgelastet, am Ball zu bleiben. Und gegen Ende des Quarters bereitet man sich halt auf ein bis drei Prüfungen vor. Das Gute ist, dass nicht alle in der Uni geschrieben werden, sondern man auch entweder ein Paper abgibt oder aber ein take-home Exam hat, bei dem man die Prüfung alleine am Computer schreibt. Hinzu kommt, dass viele der Prüfungen open-book sind, das heisst man darf die zur Verfügung gestellten Lehrmaterialien benutzen. Das hilft aber auch nur bedingt, denn in dem Zeitfenster von drei bis sechs Stunden für eine Prüfung kann man nicht lange suchen, wenn man nicht weiss worum es geht. Vielleicht gibt das einen kleinen Einblick wie die Arbeitsbelastung hier so aussieht und dass das eher keinen Urlaub darstellt bei dem man nebenbei eine Prüfung besteht. Aber bisher habe ich alle Prüfungen bestanden und will mal nicht meckern.
Meine langen Auführungen zum akademischen Teil sollen ausdrücken, dass man in der Regel nicht wirklich viel Zeit für Freizeitaktivitäten hat, zumindest nicht, wenn man alles bestehen will und das auch noch passabel. Trotzdem findet einiges statt, gerade die Kollegen des professional tracks nutzen den Sommer auch zum Feiern. Es macht auch Sinn zum einen weil es massiv Netzwerken bedeutet und zum anderen weil man einfach auch mal Druck abbauen muss. Ich habe nicht die Energie so oft weg zu gehen. Ich finde die Anpassung an das fremde Land, an das erneute Lernen, die Umstände oft ermüdend und mag auch nicht morgens um 9:00 unausgeschlafen in der Vorlesung sitzen.
Als ich letztens, als ich den Freitag und Samstag in der Uni verbringen musste draussen in der Sonne stand bekam ich jedoch massive flashbacks zur ersten Uni-Zeit. Es war sonng, es war warm, es war irgendwie friedlich und ich hörte aus den Verbindungshäusern gegenüber Musik. Das erinnerte mich so stark an die Sommer in Göttingen als ich im Studentenwohnheim wohnte und die Sommer dort verbrachte. Die Zeit in der man tagsüber an der Hausarbeit schrieb um abends ordentlich feiern zu gehen, die Nächte heiss und kurz waren und man Teil einer Gemeinschaft war und so unglaublich frei.
Freiheit, Ungebundenheit, und auch Sorglosigkeit das ist das was das jetzige Studium (abgesehen von der „Kürze“) von damals massiv unterscheidet. Man ist nicht mehr ungebunden, man ist für mehr Verantwortlich als für sein eigenes Wohlbefinden, die Selbstoptimierung die man in den 20ern betrieb ist in den Hintergrund gerückt. Man ist jetzt Arbeiternehmer, Partner, Eltern. Man sorgt für andere, trägt Verantwortung, ist eingebunden in ein System. Die Egozentrik der früheren Jahre ist der Rücksichtnahme etc. des Ertwachsenenlebens gewichen. Wenn man zu lange feiert, wenn man verantwortlungslos handelt, wenn man das Lernen vernachlässigt, dann hat das heute gravierendere Folgen als damals. Ich sehe natürlich auch Kollegen die da nicht so drin gefangen sind wie ich, aber das mag dann auch daran liegen, dass sie zehn bis fünfzehn Jahre jünger sind und noch nicht so eingebunden sind wie ich. Selbst wenn ich hier eine Freiheit geniesse, wie ich sie lange nicht hatte, bedeutet das nicht, dass man sie so konsequenzenlos ausleben kann oder will wie früher.
Um aber nochmal auf die Arbeitsbelastung zurück zu kommen. Auch wenn es viel ist, erlebe ich hier durch die Uni und die für uns Verantwortlichen einen viel größeren Rückhalt als ich ihn damals in der Uni in Göttingen erlebte. Dort hatten wir zwar das Studentenwerk, dass ich um das Wohlbefinden kümmerte, aber das akademische wurde einem selbst überlassen. Das ist hier anders, es liegt der Uni sehr viel daran, dass alle das Programm möglichst bestehen und das bedeutet nicht, dass man die Ergebnisse nicht hart erarbeiten muss. Aber wenn man schwimmt, wenn man droht zu scheitern, wenn einen der Alltag überfordert gibt es viele Sicherheitsnetze. Und diese sind nicht nur theoretisch der staff der für uns zuständig ist, ist gut erreichbar und engagiert in allem Umständen hilfreich zu sein. Das gilt im Übrigen auch für die Professoren, die hier viel mehr hands-on sind als ich das in Deutschland erlebt habe. Sie stehen regelmäßig für Sprechstunden bereit, sie diskutieren und beantworten Fragen gerne in den Pausen, sie versuchen einen angesichts der Prüfungen gut vorzubereiten und auch nach den Kursen in den Gängen der Uni erkennen sie einen oft und grüßen oder fangen ein Gespräch an. Das ist wirklich eine sehr positive Erfahrung. Ich bin ja eh der Ansicht, dass durch persönlicheren Umgang das Lernergebnis positiv beeinflusst wird. Und bevor ich ich mich hier in den Längen des Artikels verliere und mein Lernpensum für heute weiter vor mir herschiebe schliesse ich ab mit den Worten: Es ist anders aber es ist auch schön hier.