Was wollt ihr denn?

Ich bin ein Kind der Siebziger und trotzdem hat meine Mutter mich nie in die typische Frauenrolle erzogen. Ihr war wichtig, dass ich nicht nur mit Puppen spiele und Kleider durfte ich aus praktischen Gründen eher selten tragen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass ich gerne und wild draußen unterwegs war und Bekleidung nicht selten Löcher und Flecken bekam. Wenn mein Bruder von Aufgaben ausgenommen war, dann eher weil er jünger und gesundheitlich beeinträchtigt war. Auch mein Vater war moderner als Väter zu der Zeit üblicherweise waren, baute Sache mit mir, nahm mich mit zu Dienstfahrten und zu kulturellen Ausflügen. Nach der Trennung meiner Eltern rutschte ich zwar ein wenig in die Rolle der alleinerziehenden Tochter, aber ich war immer überzeugt, dass ich als Frau alles das machen kann was Männer auch können.

Nach dem Abitur lernte ich ein sogenanntes Männerhandwerk, biss mich durch die Lehre, die oft geprägt war durch ein sehr traditionelles männliches Umfeld und bestand die Gesellenprüfung.

Da mir die Lehre zeigte, dass ich auf dem ausgebildeten Beruf kein Studium aufbauen wollte, suchte ich etwas, dass mir und meinen Fähigkeiten besser lag. Ich kam durch eine sehr gute Studienberatung und darauf aufbauende Recherche dazu Rechtswissenschaften zu studieren.

Ich habe mich noch nie so angekommen gefühlt wie zu Beginn des Studiums. Die Materie machte mir Spaß, ich fand das spannend. Bin immer noch fasziniert von der Feinheit vieler deutscher Gesetze, was wie unter welchen Bedingungen geregelt ist und was man damit alles erreichen kann. Wie vieles ineinander zahnt. Welche Gedanken sich gemacht wurden, um keine Regelungslücken entstehen zu lassen.

Meine Leistungen waren durchwachsen, aber nicht schlecht. Ich war neben dem Studium auch immer mit Leben beschäftigt. Nicht übermäßig ehrgeizig, aber engagiert. Am Liebsten schrieb ich Hausarbeiten. Mich in eine Materie reinversenken, tiefer bohren, recherchieren – das ist genau meins. Klausuren litten immer mehr unter meiner Prüfungsangst.

Gegen Ende des Studiums kam es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die auch meine Leistung beeinflussten. Trotzdem habe ich weitergemacht. Pausieren war undenkbar. Eine im Nachhinein nicht so kluge Entscheidung, denn das Examen blieb im Ergebnis damit hinter meinen Möglichkeiten zurück.

Nach dem Examen kam das Referendariat, in welchem ich kurz vor den Klausuren durch die Ankündigung des ungeplanten Wunschkindes überrascht wurde. Und in meiner festen Überzeugung, dass es alles geht und ich mich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden muss, nur weil ich eine Frau bin, durfte das Kind wachsen und ich schrieb mit ihr im Bauch die Klausuren. Wegen des Mutterschutzes, eines Umzuges, familiären Verpflichtungen sowie nicht vorhandener Kinderbetreuung verschob sich die abschliessende mündliche Prüfung um einige Zeit. Schlußendlich bereitete ich sie mit zwei Kindern an der Seite vor und bestand sie. Trotz allem wollte ich immer noch als Juristin arbeiten. Wieso sollten mich zwei Kinder auch davon abhalten?

Nach dem zweiten Examen begann ich, mich zu bewerben. Ich Nachhinein gesehen nicht optimal, aber you live and learn. Ich meldete mich zu einem Fachanwaltslehrgang an und bestand diesen gut, trotz zweier kleiner Kinder. Ich bewarb mich weiter und war weiterhin nicht erfolgreich. Wie ich erst vor Kurzem realisierte, fiel das alles in die Zeit der Wirtschaftskrise, was meine Rahmenbedingungen zusätzlich verschlechterte. Ich bekam aber auch einmal klar gesagt, dass ich wegen der Kinder nicht eingestellt werde.

So ging das eine ganze Zeit weiter, Bewerbung, Absage und von vorne. Ich sah nicht ein, den Wunsch einer großen Familie zu opfern, und so bekam ich zwischen den Bewerbungen noch zwei Kinder. Letztendlich fand ich eine Anstellung, für die ich wissentlich überqualifiziert bin, aber deren Prämisse mir den Eindruck gab, diese als Einstieg und Trittstein nutzen können. Da sich dieses nach einiger Zeit aus diversen Gründen nicht erfüllte, suchte ich Lösungen. Eine davon war die Weiterqualifizierung. Was mich dazu brachte, mich an der Wunschuni für ein LL.M Programm zu bewerben. Eine Sache die ich schon sehr sehr lange machen wollte.

Ich wurde genommen und begann ich nochmal mit Studieren, dieses Mal an einer globalen Top Universität (UC Berkeley) mit sehr guten Ergebnissen. Dreiviertel absolvierte ich online neben der Arbeit und der Familie und ein Viertel vor Ort in den USA.

Motiviert von der dortigen Karriereberatung und meinen Ergebnissen bewarb ich mich erneut. Mit besseren Anschreiben und Resultaten. Zu einer neuen Anstellung kam es bisher aber nicht. Teilweise wird mir gesagt, dass die mittelprächtigen deutschen Examen nicht ausreichend sein. Wenn ich meinen sehr guten US Abschluss dagegen halte, der zeigt, dass ich eine gute Juristin bin, dann ist das egal. Es ist der Situation auch nicht förderlich, dass zusammen mit meinem Erhalt des US Diplomas die Corona Pandemie begann.

Jetzt steht der nächste runde Geburtstag vor der Tür und ich schwanke zwischen der Panik, dass eine Frau in dem Alter mit wenig Erfahrung nicht mehr eingestellt wird und der Wut auf die Personalverantwortlichen.

Ich weiß, dass ich ein Studienfach gewählt habe, in dem noch oft konservative Strukturen herrschen, aber ich dachte heutzutage sind wir weiter. Es ist so frustrierend, wenn man den Aufwand betreibt, den Arbeitgeber anhand der Außendarstellung kennen zu lernen und ein passendes Anschreiben zu formulieren, um dann eine geringschätzende unpersönliche, teilweise schon zynische Absage zu erhalten.

Es kann doch nicht sein, dass eine Juristin, die Kinder hat, die nicht den schnurgeraden Weg gefolgt ist, die qualifiziert, zäh, zielstrebig, motiviert und organisiert genug ist, alles unter einen Hut zu bekommen, als wertlos zur Mitarbeit angesehen wird.

Ist Rechtswissenschaft ein Berufsfeld in dem man als Frau nur eingestellt wird, wenn man mit Prädikat seine Wertigkeit schriftlich belegen kann, ungebunden genug ist um kein Gegenargument zu geben, wenn 60+ Wochenstunden erwartet werden? Fließend mindestens drei Fremdsprachen spricht und Ende Zwanzig mindestens einen Auslandsaufenthalt und drei Fachanwaltstitel vorweisen kann? Der Anteil an Prädikatsexamen in dieser Branche ist übrigens ist nicht so hoch, es gibt einen großen Prozentsatz an Absolventen ohne. Auch diese Menschen wollen und müssen arbeiten. Abgesehen davon, dass die Examensnote ein Indikator, aber keine Aussage über die Qualität eines Juristen oder einer Juristin trifft.

Geben all die anderen Juristinnen mit Kindern, die nach deren ersten Jahren zurück in den Beruf, wollen einfach auf? Ist es so ungewöhnlich mit 40+ arbeiten zu wollen, obwohl man Kinder und einen Versorger hat? Ist finanzielle Unabhängigkeit in einer Beziehung nicht vorgesehen?

Hallo, ich habe nicht studiert, hart gearbeitet, alles jongliert um ausschließlich meine Kinder zu versorgen! Ich habe das Studienfach nicht gewählt, weil man das so macht, um eine gute Partie zu finden, sondern weil es mich interessiert und immer noch meine Leidenschaft ist. Sorry, not sorry, dass mir das Leben auf dem gerade Weg ein paar Abzweigungen mitgegeben hat. Genau diese Erfahrungen machen mich wertvoll, auch wenn sie nicht in Schema F passen. Aber da hin zu schauen, scheint zu viel verlangt zu sein.

Was soll ich meinen drei Töchtern (und auch dem Sohn) mit auf den Weg geben? Ihr könnt alles erreichen, aber ihr müßt euch als Frau entscheiden für das Leben, Kinder oder Karriere. Ihr dürft nicht Mittelmaß sein, sonst wird es schwer?

Es heißt immer, wenn man eine Situation unbefriedigend findet, solle man sie ändern. Ich habe vieles in meiner Macht stehende getan, um voran zu kommen, es scheint aber nicht zu reichen. Vielleicht ist es nicht mehr an mir zu ändern, sondern auf der anderen Seite.

Ich bleibe wütend und ratlos zurück und frage mich, was wollt ihr?

Eine Antwort zu “Was wollt ihr denn?

  1. Das ist so frustrierend und entmutigend.

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